30 Sep Kernaussagen Kneschke vs LAION
(LG Hamburg 27.09.2024, 310 O 227/23)
Das Urteil des LG Hamburg im Fall Kneschke vs LAION behandelt eine der ersten urheberrechtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit Text- und Data-Mining (TDM) und der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für das Training von Künstlicher Intelligenz (KI). Die Entscheidung hat weitreichende Implikationen für die Nutzung von Werken im Rahmen der Forschung sowie für die Entwicklung von KI-Systemen im Allgemeinen:
1.Klagsabweisung aufgrund des TDM zu Forschungszwecken
Die Klage von Herrn Kneschke gegen LAION wurde abgewiesen. LAION konnte sich erfolgreich auf die freie Werknutzungsart des sog „TDM zu Forschungszwecken“ berufen (§ 60d dt UrhG; in Österreich: § 42h Abs 1-5 UrhG) (Rz 109 ff).
Forschung wird als „methodisch-systematisches Streben nach neuen Erkenntnissen“ definiert und muss weit ausgelegt werden. Es umfasst daher nicht nur die Schritte, die unmittelbar zu neuen Erkenntnissen führen, sondern auch vorbereitende Prozesse. Ein Forschungserfolg ist dabei keine zwingende Voraussetzung. Bereits die Erstellung eines Datensatzes – allerdings nur der streitgegenständlichen Art –, der später für das Training von KI-Systemen verwendet werden kann, wird vom Gericht als wissenschaftliche Forschung angesehen. Dabei handelt es sich um einen wesentlichen Arbeitsschritt, der noch keinen unmittelbaren Erkenntnisgewinn liefert, aber auf die zukünftige Nutzung für Forschung abzielt. Entscheidend ist, dass der Datensatz kostenfrei veröffentlicht wurde, um Forschenden im Bereich künstlicher neuronaler Netze zur Verfügung zu stehen. Es ist dabei unerheblich, ob der Datensatz von kommerziellen Unternehmen genutzt wird, da auch deren Tätigkeiten als wissenschaftliche Forschung eingestuft werden können (Rz 114).
Zudem verfolgt LAION nicht-kommerzielle Ziele (Rz 117). Maßgeblich ist allein die Art der wissenschaftlichen Tätigkeit, unabhängig davon, wie die Forschungseinrichtung organisiert und finanziert wird. Es ist nicht ersichtlich, ob der Datensatz zumindest der Entwicklung eines eigenen kommerziellen Angebots von LAION dienen würde. Obwohl einige Mitglieder von LAION zusätzlich für kommerzielle Unternehmen (u.a. KI-Anbieter) arbeiten, bedeutet dies außerdem nicht, dass LAION als Institution selbst kommerzielle Interessen verfolgt. Darüber hinaus haben diese privaten Unternehmen wie Stability AI keinen bestimmenden Einfluss auf LAION oder einen bevorzugten Zugang zu dessen Datensatz. Die Beweislast für das Vorliegen solcher Einflussnahmen lag bei Herrn Kneschke (Rz 122), der kein ausreichendes Vorbringen und Beweisanbot erbringen konnte.
2. Keine Rechtfertigung durch andere freie Werknutzungsarten
Das Gericht verneinte jedoch eine Rechtfertigung der Vervielfältigung im vorliegenden Fall sowohl nach dem „Recht auf flüchtige und begleitende Kopien“ (§ 44a dt UrhG; in Österreich § 41a UrhG) als auch nach der TDM-Ausnahme für „TDM zum eigenen Gebrauch“ (§ 44b dt UrhG; in Österreich § 42h Abs 6 UrhG) ab.
3. Keine flüchtige oder begleitende Kopie
Die Vervielfältigung des Bildes durch LAION war weder flüchtig noch begleitend (Rz 58 ff). LAIONs Argument, dass die Dateien im Rahmen des Analyseverfahrens „automatisch“ gelöscht wurden, reicht nicht aus, um eine Flüchtigkeit der Vervielfältigung zu begründen. Abgesehen davon, hat LAION nichts zu der konkreten Dauer der Speicherung vorgetragen. Da die Bilddatei gezielt heruntergeladen wurde, um sie mit spezieller Software zu analysieren, kann diese Kopie zudem nicht als begleitend angesehen werden.
4. Kein TDM zum Eigengebrauch
Im Zusammenhang mit der konkreten Vervielfältigung machte das Gericht folgende wesentliche Aussagen:
– Das Gericht stellte zunächst fest, dass das betroffene Werk (ein Vorschaubild, das mit dem Wasserzeichen der Bildagentur versehen wurde) rechtmäßig zugänglich war, da es von der Agentur frei im Internet zur Verfügung gestellt wurde (Rz 89 ff).
– Die Vervielfältigung diente dem Zweck des TDM (zum eigenen Gebrauch) (Rz 71 ff), da durch die Analyse ein Informationsgewinn über Korrelationen erzielt wurde. So erfolgte die Analyse des Bildes zum Abgleich mit einer bereits bestehenden Bildbeschreibung (Rz 73). Dass die Analyse zusätzlich strukturiert durch die Aufnahme in einen Datensatz durchgeführt wurde, beeinträchtigt diese Einstufung nicht (Rz 86).
– Grds durfte die Vervielfältigung, sofern die sonstigen Anforderungen des TDM (zum eigenen Gebrauch) erfüllt sind, auch für das Training von KI-Systemen verwendet werden (Rz 76 ff). Das Gericht betonte, dass TDM nicht nur auf die bloße Informationsgewinnung beschränkt werden dürfe und damit einen weiten Anwendungsbereich habe. Die Nutzung der durch TDM gewonnenen Erkenntnisse zum Trainieren künstlicher neuronaler Netze, die in Konkurrenz zu Urhebern treten könnten, könne zwar technologisch nie vollständig ausgeschlossen werden (Rz 88). Eine solche Nutzung im Rahmen von TDM komplett auszuschließen, würde jedoch v.a. den Absichten des EU-Gesetzgebers widersprechen, insb im Hinblick auf die Anforderungen der kürzlich in Kraft getretenen KI-VO (Rz 83: Anbieter von GPAI-Modellen müssen eine Urheberrechtsstrategie entwickeln). Obwohl die EU bei der Schaffung der DSM-RL im Jahr 2019 die Entwicklungen im Bereich KI noch nicht vollständig im Blick hatte, rechtfertigt dies also keine enge Auslegung der TDM-Vorschriften. Auch der in diesem Fall relevante Drei-Stufen-Test steht dieser Auslegung nicht entgegen (Rz 85 ff), da die Vervielfältigung auf die Analyse des Bildes und seine Übereinstimmung mit einer bestehenden Bildbeschreibung sowie auf die Aufnahme in einen Datensatz beschränkt war. Dass durch diese Nutzung die Verwertungsmöglichkeiten des betroffenen Werks beeinträchtigt werden würden, sei nicht ersichtlich.
– Es liegt ein wirksam erklärter Nutzungsvorbehalt iSd Art 4 Abs 3 DSM-RL vor (Rz 93 ff).
- Zunächst wurde anerkannt, dass die Bildagentur als „nachfolgende Rechteinhaberin“ befugt war, eine solche Erklärung (auf ihrer Homepage) abzugeben. Ebenso ist Herr Kneschke berechtigt, sich auf diese Vorbehaltserklärung seiner Lizenznehmerin zu berufen. Der Vorbehalt muss also nicht nur vom ursprünglichen Urheber stammen, sondern kann auch von Rechtsnachfolgern oder Inhabern abgeleiteter Rechte erklärt werden.
- Der Vorbehalt wurde ausdrücklich formuliert (vgl Rz 9). Diese Erklärung ist hinreichend klar und so zielgenau (konkret-individuell), dass der Vorbehalt zweifelsfrei einen bestimmten Inhalt und eine bestimmte Nutzung (Reichweite) erfasst. Vor TDM geschützt waren also sämtliche Werke auf der Website der Bildagentur (Rz 98).
- Darüber hinaus erfüllt der Vorbehalt die Anforderungen an Maschinenlesbarkeit (Rz 100 ff). Das Gericht hob hervor, dass ein Vorbehalt auch dann „maschinenverständlich“ ist, wenn er in natürlicher Sprache abgefasst ist. Es wird betont, dass moderne KI-Anwendungen in der Lage sind, Text in natürlicher – also menschlicher – Sprache zu verstehen und auszuwerten (Rz 103). Beim Interessenausgleich zwischen den Nutzern des TDM und den Rechteinhabern hat das Gericht folglich auch ErwGr 18 DSM-RL berücksichtigt, der nur eine „angemessene“, aber nicht zwingend „möglichst einfach auszulesende“ Erklärung fordert (Rz 105).
- Schließlich wurde klargestellt, dass die urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung in der Vervielfältigung des geschützten Werks besteht, nicht in der Durchführung einer „Musteranalyse“. Das vorherige Auffinden von Werken und deren Überprüfung auf Nutzungsvorbehalte erfordert kein weiteres vorgeschaltetes TDM. Stattdessen könne der Webseiteninhalt durch den Einsatz von Webcrawlern verarbeitet werden, wobei nur flüchtige Kopien entstehen, die bereits durch § 44a dt UrhG gerechtfertigt sind (Rz 104).
5. Fazit
Das Urteil des LG Hamburg setzt bedeutende rechtliche Rahmenbedingungen für den Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken im Zusammenhang mit TDM und KI-Training. Das Gericht betrachtete die „Schrankenregelung“ des TDM für wissenschaftliche Forschung in diesem speziellen Fall als anwendbar und erklärte die dafür angefertigten Kopien in diesem Kontext für zulässig. Dies könnte dazu führen, dass ähnliche Fälle in der Zukunft mit einer stärkeren Berücksichtigung der wissenschaftlichen Forschung und des öffentlichen Interesses behandelt werden. Für Urheber positiv hervorzuheben ist, dass gleichzeitig klare Anforderungen an Nutzungsvorbehalte formuliert wurden. Die noch offene Frage, ob KI-Training insgesamt durch TDM gerechtfertigt werden kann (vgl Rz 72), könnte in anderen Verfahren weiter geklärt werden; das Gericht machte bereits auf den weiten Anwendungsbereich von TDM aufmerksam.
Ungeachtet dessen, äußerte sich das LG Hamburg nicht zur angeführten „schlichten Einwilligung“ (vgl Rz 26, 49), die jüngst vom dt BGH (11.09.2024, I ZR 139/23) als „allgemeines Rechtsprinzip“ anerkannt wurde. Ob Herr Kneschke durch konkludentes Verhalten in die „übliche Verwendung“ seines Werks, einschließlich der damit verbundenen Verwertungen, eingewilligt hat, lässt sich derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen. Diese Auffassung könnte jedoch problematisch für Urheber sein, da sie von dem grundlegenden Urheberrechtsprinzip abweicht, dass eine ausdrückliche Einwilligung bzw vertragliche Lizenz (Werknutzungsrecht/-bewilligung) des Urhebers erforderlich ist, bevor seine Werke genutzt werden. Sollte die „schlichte Einwilligung“ in der Praxis vermehrt Anwendung finden, könnte dies die Verhandlungsposition der Urheber schwächen und zu Missbrauch durch KI-Anbieter führen.
Das OLG Hamburg wird nun höchstwahrscheinlich mit der Entscheidung betraut, welches den Weg zum EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Auslegung von EU-Recht einschlagen sollte, um schnellstmöglich Rechtssicherheit für alle Beteiligten (KI-Anbieter, KI-Betreiber und Urheber) zu gewährleisten. Es ist bedauerlich, dass das LG Hamburg dies nicht bereits initiiert hat und das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aussetzte. Klarerweise ist ein solches unterinstanzliches Mitgliedstaatliches Gericht jedoch nicht verpflichtet, den EuGH um eine Vorabentscheidung in bloßen Auslegungsfragen zu ersuchen.
Alexander Seyfried, 30.09.2024